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Die "Staatenlose" Ukrainerin Soja Salewski - Schaffnerin in den Berliner Verkehrsbetrieben 1945

Einblicke in die Personalakten der Berliner Verkehrsbetriebe - Autorin: Luna Griebel

Datum: 12.12.2025

Passfoto von Soja Salewski aus der Personalakte der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG)

Dieser Text ist ein für die Webseite leicht angepasster Ausschnitt aus meiner geplanten Publikation zum Einsatz sowjetischer Zwangsarbeiter*innen bei den Berliner Verkehrsbetrieben (siehe hierzu die Projektseite auf der Webseite). Die Quellenangabe kann über das Kontaktformular bei der Autorin angefragt werden.

Eine besonders außergewöhnliche Personalakte der Berliner Verkehrsbetriebe erzählt von der Ukrainerin Soja Salewski. Die BVG wollte entgegen vorherrschender rassistisch-ideologischer Vorstellungen und entsprechenden gesetzlichen Vorgaben darauf verzichten, diese Ukrainerin wie eine "Ostarbeiterin" [Bezeichnung der Nationalsozialisten für die Zwangsarbeiter aus der Sowjetunion] zu behandeln.  Die tatsächlichen Beweggründe sind unbekannt, aber sicherlich ist diese Entscheidung nicht aus dem simplen Wunsch nach einer humaneren Behandlung entstanden. Am 13. März 1945 wurde Salewski offiziell als "Staatenlose" eingestellt. Sie wurde am 8. Januar 1926 in der Stadt Beresne geboren, die Personalverwaltung vermerkte in Klammern neben dem Geburtsort den Zusatz „General-Gouvernement“, und wohnte privat in Schöneberg an der Ebersstraße 40B bei einer Frau Meyer. Sie war ledig, konnte Deutsch, Ukrainisch, Russisch und Polnisch sprechen. In einem Fragebogen der Personalverwaltung gab sie eine „reinrassige“ Abstammung an. Vor der Einstellung bescheinigte die BVG am 7. März 1945 der NSV [Nationalsozialistische Volkswohlfahrt] die Übernahme von Salewski als Schaffnerin für die Straßenbahn. Nach positiver Rückmeldung vom Arbeitsamt konnte sie dann am 12. März die Ausbildung zur Schaffnerin beginnen. Zuvor hatte sie bereits in Danzig als Schaffnerin gearbeitet, vom 7. Juli 1944 bis zum 14. Februar 1945, diese Ausbildung wurde aber von der Personalverwaltung aus unbekannten Gründen nicht anerkannt. Die Ausbildung konnte nach einem Übungsschaffnerdienst und einer Abschlussprüfung am 24. März erfolgreich absolviert werden. Sie erhielt anschließend einen Nachweis der Befähigung für den Schaffnerdienst in der Straßenbahn. Am 12. März wurde im Bahnhof Schöneberg eine Annahmeverhandlung durchgeführt, dabei musste sie ein Gelöbnis ablegen:


„Ich werde dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes Adolf Hitler treu und gehorsam sein und meine Dienstobliegenheiten gewissenhaft und uneigennützig erfüllen“
 

Zusätzlich musste sie eine schriftliche Erklärung unterschreiben, dass keine gerichtlichen oder polizeilichen Vorstrafen existierten und ein polizeiliches Führungszeugnis der Personalverwaltung vorgelegt wird. Was in der Personalakte nicht erwähnt wird: Danzig wurde nur wenige Wochen später von der Roten Armee eingeschlossen und Ende März erobert. Die Versetzung von Salewski an diesem Zeitpunkt und der Schriftverkehr zwischen der BVG und der NSV sind deswegen wahrscheinlich keine Zufälle. Vermutlich musste sie wegen der anrückenden Roten Armee auf Anweisung der deutschen Behörden nach Berlin ziehen. Ihre Abstammung, die Tatsache das sie privat wohnen durfte und der bisherige Lebenslauf machten Salewski zumindest auf dem Papier zu einer innerhalb der nationalsozialistischen Ideologie hochgestellten Person, nur die ukrainische Staatsangehörigkeit war dabei hinderlich. Vielleicht sah sich die BVG nicht gewillt, eine „Volksgenossin“ nur wegen der Staatsangehörigkeit zu benachteiligen, weswegen die Staatenlosigkeit erklärt wurde. Bemerkenswert ist zudem, das obwohl zu diesem Zeitpunkt das Kriegsende nur noch Wochen entfernt war, die öffentliche Verwaltung weiterarbeitete und selbst polizeiliche Führungszeugnisse noch ausgestellt wurden.

Auch bei anderen Nationalitäten sind Fälle in den Personalakten der BVG dokumentiert, wo die Personalverwaltung entweder eine Staatenlosigkeit oder eine gänzlich andere Nationalität nach Einstellung der Person feststelle. Eindeutige Beweise das es sich hierbei tatsächlich um gezielte Handlungen der BVG handelte, um entweder für den Betrieb oder für bestimmte als „wertvoll“ oder „reinrassig“ betrachteten ausländischen Arbeitern gewisse Vorteile zu gewinnen, konnten nicht ermittelt werden. Es ist auch unklar, ob eine Änderung der Nationalität durch die Personalverwaltung vor anderen Behörden wie dem Arbeitsamt oder der Gestapo tatsächlich etwas geändert hätte. Für die vielen hunderten Ostarbeiter und Ostarbeiterinnen im Betrieb gab es nur zwei belegte Fälle dieser Art. Die „staatenlose“ Ukrainerin Soja Salewski ist eine davon und ihre Personalunterlagen ein Beispiel für die fehlerhafte, korrupte und menschenverachtende Ideologie der Nazis und bezeugt, dass die BVG zumindest in Einzelfällen die Möglichkeit besaß, die Lebensbedingungen bestimmter Ostarbeiter, aber auch anderer Zwangsarbeiter, angenehmer zu gestalten, sich aber bei den allermeisten Personen aktiv dagegen entschieden hatte.

 

[Text Ende]

Nachweis der Befähigung für den Schaffnerdienst in den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) für Soja Salewski vom 12. März 1945
Nachweis der Befähigung für den Schaffnerdienst in den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) für Soja Salewski vom 12. März 1945

Nachweis der Befähigung für den Schaffnerdienst in den Berliner Verkehrsbetrieben vom 12. März 1945

Eidesstaatliche Erklärung für die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) mit Unterschrift von Soja Salewski vom 12. März 1945

Eidesstaatliche Erklärung mit Unterschrift von Soja Salewski vom 12. März 1945

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